Es gibt zwei Augenblicke, die ich im Leben besonders wertvoll finde bzw. in denen ich mich geehrt fühle, sie begleiten zu dürfen. Dann, wenn alles beginnt, also bei der Geburt eines Lebewesens. Und dann, wenn es still wird, also wenn eine Seele (wenn man daran glauben möchte) uns verlässt. Das mag für viele eigenartig klingen, weil das Leben an sich ja aus unendlich vielen emotionalen Momenten besteht und nicht nur aus einem Anfang und einem Ende. Dazwischen sind mal mehr oder weniger Kapitel, die wir füllen. Bei einem „reicht“ es gerade mal für ne Kurzgeschichte und der andere füllt die Fortsetzung der Buddenbrooks.
Es gibt reichlich Kulturen oder Lehren, die davon ausgehen, dass wir unsere Lernkapitel selbst schreiben, schon bevor wir überhaupt die Welt betreten. Andere denken, dass wir gewisse Lebewesen (Menschen und Tiere) immer wieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten in diesem oder anderen Leben wiederfinden. Und es gibt Menschen wie auch ich, die glauben, dass wir immer die Lebewesen in unserem Dasein treffen, die wir brauchen. Nicht, die wir wollen oder meinen zu brauchen. Nein, die, die wir tatsächlich brauchen, um uns entwickeln zu können. Darüber hinaus glaube ich, dass diese Seelen so lange Teil unseres Lebens sind, bis diese „Lern“kapitel geschlossen werden können. Sozusagen aufgearbeitet wurden. Irgendwie bestätigt dies der Fakt, dass es Lebewesen gibt, die wir immer wieder sehen, und andere ab Zeitpunkt X nie wieder, obgleich sie eventuell sogar ums Eck wohnen.
In meinem Herzen ist es in jedem Fall kein schönes Bild, wenn eine Seele alleine die Welt betritt oder verlässt. Vielleicht sind wir uns dieser besonderen Prozesse gar nicht so bewusst, oder überhaupt nicht? Klar, wie viele erinnern sich noch an ihre eigene Geburt und wie viele kann man nach ihrem Tod fragen, wie es so war? Jeder hat sein eigenes Verhalten, seinen eigenen Rhythmus, hört sein eigenes Herzenslied am Weg. Elefanten, so sagt man, sondern sich ab von der Gruppe und suchen sich ihren Platz zum Sterben. Sie spüren, dass es an der Zeit ist, Abschied zu nehmen, und diese Zeit nehmen sie sich. Viele Male habe ich schon gehört, dass sowohl Menschen als auch Tiere wissen, dass sie sterben. Ich habe meinen Großvater, als er im Sterben lag, eine Zeitlang beobachtet. Es hat so gewirkt, als würde er gewisse Stationen nochmals in Gedanken „abwandern“, sich von einigen verabschieden, andere begrüßen, Gespräche führen. Ich glaube, dass es da kein Richtig oder Falsch gibt. Weder bei den Sterbenden noch den Überlebenden. Jede_r geht mit diesen Themen unterschiedlich um. Einige Kulturen schreien und weinen laut, andere feiern und freuen sich. Auch Tiere haben ihre Rituale: Trauern, halten Totenwachen und beerdigen ihre Artgenossen. Und ja, anders als andere bin ich der festen Überzeugung, dass Tiere genauso trauern, genauso leiden und genauso Abschied nehmen. Eine Freundin hat mich, als ihr Pferd starb, gefragt. „Was soll ich jetzt tun?“ Andere fragen oft: „Wie soll ich jetzt weiterleben?“ Meine Antwort war: „Das in Ehren, im Herzen halten, was du gelernt hast durch die andere Seele!“ Oder offen zu sein für das, was dieses neue Seelchen dir übermitteln möchte.
Aber da ist diese, wie soll ich es nennen, fast magische Stille, die diese Augenblicke einhüllt. So als würde alles für einige Sekunden stillstehen, um die Seele in Ruhe zu begrüßen oder ziehen zu lassen. Wir halten die Luft an, unterdessen jemand anderer seinen ersten oder letzten Atemzug nimmt. Und während sich die einen Augen erhellen, verdunkeln sich die anderen. Ein Zyklus beginnt, ein anderer endet, ein Kommen und ein Gehen. Wie auch immer man das wahrnehmen oder bezeichnen möchte, es ist das, was es ist: Ein kaum in Worte zu fassender und auch nicht notwendig zu erläuternder Moment des Einklanges von Seelen. Ein Augenblick, bevor unser Herz zerspringt vor Freude oder zerbricht vor Trauer. Ein Moment der heilenden Stille in unseren Herzen.