Ich denke fast jeder kennt sie, die Geschichte von Cinderella, dem Mädchen, das sich so sehr wünscht, auf den Ball zu gehen, um den Prinzen zu treffen. Dank einer guten Fee – und je nach Storyteller – einigen Mäusen, Pferden und einem Hund, eventuell einem Kürbis, einem Haselnussbusch und wer sonst da aller noch mithelfen wollte – gelingt dies auch.
Anders als im realen Leben braucht die Verwandlung von der Alltagsklamotte zur atemberaubenden Zauberfee nur eine Sekunde. Lucky you. Normalerweise – je nach persönlichem Wunsch und Können – up to hooooouuuuurs. Ein anderer nicht zu verachtender Zeitfaktor: Spax. Das „Körperkaschierungswunder“, das man erstmal anziehen können muss. Und wären die nicht so teuer, würde es beim Anziehen bleiben. Der einzige Schauschieler im Epilog wäre: die Schere.
Aber egal, da ist sie nun auf dem Ball und trifft ihren Prinzen und tanzt in gläsernen Schuhen. Wow, schon mal probiert. Das muss ja ordentlich aufs Füßchen gedrückt haben. Aber auch das verkneift sich die kleine Maus, denn da ist sie nun, am Ziel ihrer Träume, ihres dicken Wunsches, in der Realität des jahrelangen Manifestierens. Ta-ta!
Ähnlich wie in der Realität folgt Gleiches am Fuße. Beziehungsweise nicht mehr am Fuße, denn das „Schüchlein“ geht verloren. Die Kutsche ist doch ein Kürbis und die schillernden Begleiter, einfach nur süße Mäuse. Was dem Prinzen bleibt, ist ein Schuh voller Erinnerungen. Hoffentlich ohne Fußpilz und Schweißgeruch. Dürfte aber so gewesen sein, denn fortan sucht er sie, seine Maid. Jetzt läuft er herum mit der Stripperlatsche und sucht sie, seine Frau, seine Prinzessin, zu der dieser und nur dieser Schuh passt. Und die Mädels strömen herbei, versuchen alles, das diese Pusche auf den eigenen Fuß passt. Da werden Zehen abgehakt, Fersen gekürzt, gepresst und gestopft – alles nur, damit der Wunsch passt. So berichteten es zumindest die Märchenbücher.
Full stop. Woran erinnert mich das? Da klingelt doch was im Ohr und es ist nicht der Tinnitus! Ich denke im Zuge unseres (Er)wach(sen)-werdens, geht es uns nicht anders: Wir haben Ideen, Wünsche und Ziele, die wir meinen, die zu sein, die wir uns sooo dicke für unsere Zukunft erhoffen. Und wir versuchen alles, damit dieser Schuh passt. Wir (ver-)biegen und wenden uns, drücken und ziehen, stampfen, kämpfen und poltern – es muss doch irgendwie gehen. Aber bequemer wird diese Quadratlatsche nicht.
Und plötzlich ändert sich unser Blick, unsere Wahrnehmung, unser(e) Wert(e) und wir begreifen den Schuh komplett anders. Wir sehen es als das, was es ist: der Schuh passt einfach nicht mehr. Wir sind rausgewachsen. So schön er mal war. Aber nö, dieses Ding, diese Zauberpusche sitzt nicht, sie will und will nicht mehr passen. Und wir sind nicht mehr bereit, unsere Zehen dauerhaft zu beleidigen oder gar ganze Teile von uns zu opfern, damit das „Schüchlein“ glänzen kann. Wir, ja wir, wir entscheiden uns fortan für ein individuelleres Modell. Eines, das keinem gut formulierten Märchen entspringt, eines, dass weniger der Allgemeinheit dient, eines, das auf unsere Stärken, auf unsere Werte aufbaut. Wir tauschen den vermeintlich korrekten Glitzerpantoffel ein und erhalten ein Mehr an uns. Wir stellen fest, dass wir genau diesen Schuh nicht mehr brauchen. Wir sind rausgewachsen aus diesen Vorstellungen, aus diesen Ideen, aus diesem „das muss doch gehen“ und wir gehen jetzt voller Stolz, voller Freude, Zuversicht und Mut – Barfuß. Und wisst ihr was: Sooo viel angenehmer & vor allem schmerzfrei.