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Club der angeschossenen Rehlein

Es ist ja schon eine komische Sache. Da begegnen wir Menschen und die finden wir vielleicht ja sogar super, vielleicht ja sogar total ur super. Und weil wir emotional und kommunikationstechnisch gerade nichts anderes vorhaben, klatschen wir gleich mal und voller Wucht gegen die alten, offenen Wunden des anderen. Und weil wir den anderen ja noch kaum kennen und gar nicht wissen was da jetzt überhaupt passiert ist, trifft es uns vollkommen kalt und recht heftig. Kennt ihr das? Und bevor man überhaupt selbst weiß, was da gerade passiert ist, läuft bei dem anderen schon ein komplett anderer, alter, gewohnter Film ab und wir sind unaufgefordert Hauptdarsteller. Ohne das wir uns je beworben hätten für das Casting.

Klar, wir alle haben unsere Wunden und Narben, unsere Erfahrungen. Und ich vermute mal, dass niemand gerne freiwillig verletzt wird. Auch nicht nach „50 Shades“. Sorry, kleiner Ausreißer. Und manche tragen die Verletzungen ganz offensichtlich an der Oberfläche. Für jeden sichtbar. Und diese Wunden schreien einen förmlich lauthals an. „Hier, hier bin ich AUUUUAAAA!“. Ich mag mir auch kein Urteil darüber erlauben und sicherlich ist es sehr individuell wie man mit Dingen umgeht.

Ich kann mich noch gut erinnern, ich hatte vor Jahren einen HIV Positiven Klienten in der Beratung. Ich fand das sehr speziell, denn kaum als er mich das erste Mal traf und sich auf den Stuhl setzte, sagte er schon: „Ich bin HIV positiv!“ Und ich dachte: „Wow, das ist ja mal direkt und schnell.“ Man könnte auch sagen, sehr klar oder sehr offen. Wie auch immer, es war ihm damals ein Bedürfnis, mich frühzeitig zu informieren. Und klar, diese Art der Information war und ist sehr speziell und sicherlich außerhalb des Rahmens, den wir sonst tagtäglich erleben. Und klar, wenn uns jemand so direkt sagt, wo es ihm weh-tut, dann können wir schnell reagieren oder könnten wir. Wir können frühzeitig für uns entscheiden, „ja mag ich“ oder „nein, find ich nicht gut“.

Dennoch würde ich niemandem z.B. bei einem Vorstellungsgespräch empfehlen, gleich und schnellstens alles raus zu „hauen“ was jetzt nicht ganz so toll an uns ist. Das wir beispielsweise eigentlich permanent zu spät kommen, das wir nicht die besten Verkäufer sind, obgleich wir uns für einen Sales Job bewerben und das wir generell ein Problem haben mit Führungskräften. Alles vielleicht die Wahrheit, aber mal ehrlich, wer will das hören? Firmen im Gegenzug erzählen uns ja auch, dass sie Top im Geschäft sind, obwohl einer der Geschäftsführer gerade die Fliege gemacht hat mit zig Millionen. Wir halten Dinge elegant zurück, weil wir … besser dastehen wollen. Oder sagen wir es anders, wir wollen uns gut präsentieren.

Gleiches gilt ja wohl, wenn wir auf das andere Geschlecht am Singlemarkt treffen. Und hier ebenso, es gibt jene die gleich nach 2 Minuten erzählen, warum ihre letzte Beziehung den Bach runter ging, warum sie verlassen wurden und was sie gar nicht in einer Beziehung wollen. Und ich denke wieder: „Wow, das ist ja mal direkt und schnell.“ Allerdings gehöre ich persönlich jetzt auch nicht zu den Menschen, die das alles nach 2,5 Minuten wissen wollen. Ich bin eher die, die dann Abstand nimmt und sich denkt: „Lauf Forrest, lauf!“ Und eigentlich ist es ja dann wieder gut, da ich frühzeitig laufen kann. Allerdings aus anderen Gründen.

Ich vermute sogar, dass wir Menschen tatsächlich manches Mal gerne „belogen“ werden. Oder das „Geflunker“ zum gesellschaftlichen „Spiel“ gehört. Zum guten Ton? Klingt pervers, oder? Aber denken wir Mädels mal an den Klassiker, zu Hause im Schrank: „Schatz, findest Du das ich zugenommen habe?“ Na? Was wollen wir hören? Die nackte Wahrheit oder aber … ? Oder damit nicht nur die Mädels hier zum Handkuss kommen. Hab ich mal gehört, das so was auch vorkommt … Nach dem Sex, wenn man nebeneinander liegt und der Mann sagt: „Und, war´s denn gut?“ Naaaa. Was wollen wir hören?

Also, wann dann? Wann schmeißen wir die guten Dinge mitten auf den Tisch? Oder warten wir, dass unser Gegenüber selbst drauf kommt? Das Geheimnis lüftet? Nochmals, ich mag hier keine Regeln aufstellen. Ich mag euch aber die Daumen drücken, nämlich, dass ihr diejenigen seid, die, wenn sie große Augen machen, diese von der guten Überraschung ruhen und nicht von den großen Scheinwerfern, die euch jede Sekunde zu überrollen drohen. Und falls euch doch mal ein sprichwörtlicher LKW erwischt, einfach weiteratmen, denn es kommt dann sicherlich noch viel schlimmer ;-).