Nein, keine Sorge, ich werde jetzt nicht mit euch Wahrheit oder Pflicht spielen und ich werde auch nicht darüber schreiben, was angenehmer ist und warum. Allerdings möchte ich heute hinterfragen, wo Ehrlichkeit beginnt und ob Wahrheit subjektiv? Hintergrund meiner Reflektionsanstrengung ist ein Gespräch mit einer Freundin. Gleich vorweg die wichtigsten Rahmenbedingungen: Sie ist 68 und sehr strikte Christin. Beides wäre an sich zumindest für mich total irrelevant, aber in diesem Kontext ist es super wichtig. Was auch wichtig ist in dieser Story, ist die Tatsache, dass ich wirklich, wirklich nicht sehr Bibel-affin bin. Also, ich kenne sozusagen die Highlights – darf man das so sagen? – die 10 Gebote, die Basisgeschichten wie die Erschaffung der Erde, Jesus, Wasser trennen, Wein trinken. Das war es dann auch schon so ziemlich.
Echt traurig, wenn man bedenkt, dass ich immerhin 6 Jahre in rein christlich-orientierte Privatschulen gewandert bin. Nur damit ihr euch das vorstellen könnt: Privatschule im Komplettpaket mit Uniform, Gebetswanderweg, die wöchentliche Pflichtbeichte und so. Mancher-einer würde sagen: „hinausgeschmissenes Geld!“. Sei es drum, wie gesagt, viel mehr weiß ich nicht mehr. Aaaaber ich weiß, dass es die Stelle gibt mit: „Du sollst nicht lügen!“, voraussichtlich steht es dort eloquenter formuliert. Wahrscheinlich eher: „Du sollst keine falsche Kunde verbreiten.“ Bin ich jetzt näher dran? Egal, ihr wisst ja sicher, worum es geht.
Meine Freundin also, hat vor einigen Wochen nach wahnwitzigen 50 Jahren einen Kindheitsfreund wieder getroffen. Und zwischen den beiden hat es ordentlich „geschnaggelt“, womit ich meine, die zwei haben sich super gut verstanden und haben fortan rund um die Uhr telefoniert und sich getroffen. Find ich ja total putzig! Nur, meine Freundin, wollte es partout ihrer Familie nicht erzählen. Sie meinte: „Die würden sich nur Sorgen machen um mich und viele Fragen stellen…!“ Ihre Kinder, ergo ihre Familie, blieben also wochenlang in dem Glauben, dass sie Großteils zu Hause ist und sich von einer Krankheit erholt, was ja auch stimmte, zumindest der Teil. Leider fanden die beiden Verliebten dann nicht zueinander und trennten sich wieder, was auch mit der Bibel zu tun hatte, aber das ist eine andere Geschichte.
Als wir letztens telefonierten, ging es ihr richtig schlecht, sie war müde, abgekämpft und leer. Sie meinte, dass ihr die letzte Zeit viel Kraft gekostet hatte. Ich sagte und meinte auch, dass ich das verstehen könne. Mir hätte unter anderem diese heimlichen Treffen und das nicht die Wahrheit sagen, ebenso viel Energie gekostet. Und jetzt die Frage, denn da sind oder waren wir unterschiedlicher Meinung. Ist die Tatsache, dass sie ihren Kindern nichts von der Beziehung, den Treffen oder dem Kennenlernen erzählt hatte, eine Lüge? Für sie nicht. Und das hat mich total überrascht.
Nun, wie gesagt, ich bin nicht sehr bibelsicher und ich weiß auch nicht, ob es darin eine Aufzählung gibt, was jetzt zur Lüge zählt oder nicht. Sie meinte, dass etwas nicht zu erzählen nicht als Lüge zählt. WHAT? Na, ich weiß ja nicht, ob das nicht ein wenig erweitert ausgelegt ist? Und nur damit das klar ist, ich habe sie als Freundin sehr lieb, sie ist ein feiner Mensch und ich hoffe, dass sie in den Himmel kommt. Weniger wegen mir, aber weil sie daran glaubt und festhält.
Ich habe ja oftmals das Gefühl, dass die Bibel ähnlich wie die ABGB´s ausgelegt wird. Denn da steht zwar etwas schwarz auf weiß, aber rundum ist viel Handlungsspielraum. Beides ist wahrscheinlich gleichermaßen oft übersetzt worden? Ist es also Auslegungssache, was zur Lüge zählt und was nicht? Macht es das zu einem Top-Thema in Diskussionen, vor allem in Beziehungen? Gibt es ein richtig oder falsch? Ein: „Hey, für mich ist das aber so.?“ Oder ist es klar: Lüge bleibt Lüge, Unwahrheit eben Unwahrheit?
Mir ist natürlich klar, warum sie es so sieht und auch warum wir Menschen generell lügen. Aus Angst, da ist es wieder mal, das große A. Wir wollen nicht abgelehnt werden, wollen keine Diskussionen, nicht schlecht da stehen und sagen anstelle dessen, dass wir den anderen nicht verletzten wollen. Keiner fühlt sich doch „besser“, wenn man nach x-Zeit erfährt, wie es tatsächlich war oder ist. Und ähnlich wird es bei ihren Kindern sein.
Und nein, wie immer, ich bin nicht besser oder habe noch nie gelogen. Nöp und leider! Ich hätte es mir jedes einzelne Mal sparen können, aber so was von. Gut, werde ich jetzt in die Hölle kommen? Voraussichtlich nicht. Aber „leiwand“ war es trotzdem nicht. Da ist sie wieder im Hintergrund, die Wage des Lebens und der permanente Entscheidungsdruck, was besser ist? Wann hat es je geholfen, nicht die Wahrheit zu sagen und wann ist es nicht irgendwann herausgenommen? Die Frage ist für mich immer viel mehr: „Ist mir eine Lüge wert, einen Menschen, den ich mag/liebe/schätze/respektiere zu verletzten?“
Also, ist es wirklich schlimm, wenn wir lügen? Oder zählt die Unwahrheit eventuell auch zu den gängigen Kommunikationstools, zu den erlaubten Strategien des Selbstschutzes? Gehört das Schwindeln zu unserem Alltag? Ist es vielleicht sogar weitläufig akzeptiert? Wenn wir genauer hinschauen, werden wir doch permanent angemogelt: Werbung, Verkauf generell, Inserate, Vorstellungsgespräche, Dates,… Haben wir also damit zu rechnen, wenn wir hinausgehen in die Welt? Oder müssen die Dauerlügennetzspinner, die chronischen „Schmähdandler“, die Wahrheitsbieger eventuell doch nach dem Ableben mit einem Platz am Feuer rechnen?
Ich denke, dass sich die Lager in den letzten Jahrtausenden nicht geändert haben. Es gab immer super ehrliche Menschen, genauso wie Top-Schwindler und alles dazwischen. Das Gute ist nur, am Ende des Tages – und damit meine ich jetzt nicht unser ableben – erhält jeder seine eigene Quittung. Und das meine ich jetzt gar nicht böse, sondern vielmehr, dass wir alle, einschließlich meiner Person, selbst und nur selbst dafür gerade stehen müssen. Bibel hin oder her.
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